Zur Startseite ...

Baldrianwurzel - Valerianae radix [Ph. Eur. 5. Ausgabe, Grundwerk 2005]

Stammpflanze: Valeriana officinalis L. / Arzneibaldrian [Fam. Valerianaceae / Baldriangewächse]. Synonyme: Valeriana baltica PLEIJEL, Valeriana exaltata J. C. MIKAN, Valeriana palustris KREYER. Dt. Synonyme: Gemeiner Baldrian, Gebräuchlicher Baldrian, Bullerjahn, Katzenkraut. Englisch: common valerian.

Artgliederung: Der Arzneibaldrian ist eine vielgestaltige Art, die in den gemäßigten Zonen der Erde weit verbreitet ist (s. Verbreitung). Es gibt mehrere Gruppen mit unterschiedlicher Chromosomenzahl. Trotz dessen und trotz der bereits erwähnten Vielgestaltigkeit gilt die zuweilen vorgenommene Untergliederung der Art in Serien, Unterarten oder Grundtypen als nicht gesichert.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Je nach Standortbedingungen zwischen 0,4 bis 2,3 m hoch werdende Staude. Blätter gegenständig, unpaarig gefiedert, mit 3 bis 12 Paaren elliptisch-lanzettlicher, ganzrandiger bis unregelmäßig gezähnter Fiederblättchen. Untere Stengelblätter lang gestielt, obere fast sitzend, Grundblätter zur Blütezeit hinfällig. Stengel rund und hohl, gerieft, mit unterschiedlicher Behaarung. Blüten zahlreich, stark duftend, sehr klein, mit 2 bis 8 mm langen, dorsiventralen, verwachsenen, mehr oder weniger hellrosa gefärbten Kronblättern und aus der Kronröhre herausragenden Staubblättern und Griffel. Blüten in sehr dichten Scheindolden, bei denen es sich bei exakter Betrachtung um einen reich verzweigten Pleiothyrsus handelt. Frucht zusammengedrückt, etwa 2-4 mm lang, mit 3 parallelen, hervortretenden Nerven, mit Pappus. Wurzelstock mit zahlreichen kleinen, hellbraun gefärbten, langen Wurzeln, zuweilen auch mit Ausläufern.

Verbreitung: Heimisch im gesamten gemäßigten Eurasien von Japan bis Spanien. Zudem eingebürgert in fast allen gemäßigten Zonen der Erde.

Droge: Die getrockneten, ganzen oder geschnittenen unterirdischen Teile (Wurzelstock, Wurzeln und Ausläufer) von Valeriana officinalis L. s.l. mit einem Mindestgehalt an ätherischem Öl von 5 ml/kg (ganze Droge) bzw. 3 ml/kg (geschnittene Droge) und einem Mindestgehalt von 0,17 % Sesquiterpenen (berechnet als Valerensäure).

Beschreibung der Droge: Wurzelstock kegelförmig bis zylindrisch, gelblichbraun bis hellgraubraun gefärbt, bis 5 cm lang, zahlreiche Wurzeln besitzend, die ihn fast vollständig verdecken (siehe Foto). Im Längsschnitt mit Mark mit Lücken und Querwänden. Wurzeln dünn, etwa 1 bis 3 mm im Durchmesser, nahezu zylindrisch, bis 10 cm lang, mit gleicher Farbe wie der Wurzelstock (siehe Foto). Den Hauptwurzeln entspringen zahlreiche, fadenförmige, brüchige Seitenwurzeln. Ausläufer mit verdickten Knoten und längsgestreiften Internodien mit 2-5 cm Länge und fasrigem Bruch.

Geruch und Geschmack: Mit charakteristischem (= Baldriangeruch) und bei sachgemäßer Aufbewahrung (im verschlossenen Glasgefäß) sehr intensivem Geruch und süßlich-würzigem, etwas bitterem Geschmack.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Augenwurzel, Katzenwurzel. Englisch: Valeriana root. Lateinisch: Radix Valerianae.

Herkunft: Aus dem Anbau, bevorzugt in Holland, Belgien, Osteuropa und zunehmend auch Deutschland.

Inhaltsstoffe: Ätherisches Öl: Gehalt etwa 0,3 bis 0,7 % (s. Definition der Droge). Zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Komponenten. Je nach Herkunft der Droge zudem recht große Unterschiede im quantitativem Gehalt der einzelnen Bestandtele. Als Hauptkomponenten des Öls gelten allgemein die Sesquiterpene Valeranon, Cryptofauronol, Valerenal und die Monoterpene Camphen, Bornylacetat und Bornylisovalerianat. Als weitere bedeutungsvolle Inhaltsstoffe gelten die Valepotriate (Valeriana-Epoxy-Triester), welche zur Stoffgruppe der 10C-Iridoide zählen. Auch bei den Valepotriaten bestehen je nach Herkunft der Droge große Unterschiede in der Zusammensetzung. Als Hauptkomponenten dieser Stoffgruppe gelten jedoch Valtrat und Isovaltrat und als weitere wichtige Substanzen Didrovaltrat und IVHD-Valtrat. Ebenfalls in beachtlicher Menge anzutreffen und in Fertigpräparaten sogar dominierend sind Abbauprodukte der Valepotriate vom Typ des Baldrinals. Weiterhin nichtflüchtige Sesquiterpene mit Valerensäure (Leitsubstanz für die HPLC-Gehaltsbestimmung entsprechend Ph. Eur.) und Acetoxyvalerensäure als wichtigsten Vertretern. Alkaloide: Nur in sehr geringen Mengen vorkommende monoterpenoide Pyridinalkaloide, darunter das Actinidin (Gehalt 0,01-0,1 %), und das nichtterpenoide Naphthyridylmethylketon. Für die positive Reaktion mit Dragendorffs-Reagenz sind ferner Lignane verantwortlich, die aus diesem Grund früher für Alkaloide gehalten wurden. Der Gesamtgehalt beträgt ca. 0,5 %, wichtigste Substanz dieses Strukturtyps ist Pinoresinol-4,4'-di-O-ß-glucosid, weitere Komponenten sind Derivate des Olivils, Massoniresinols und Berchemols.

Wirkungen: Bei innerlicher Anwendung beruhigend und die Schlafbereitschaft fördernd. Als Bad angewendet zudem muskelentspannend. Die zentral dämpfende Wirkung konnte sowohl am Tiermodell als auch am Menschen in verschiedenen pharmakologischen Untersuchungen nachgewiesen werden. Wirkungsnachweise gelangen dabei sowohl für das ätherische Öl als auch die Valepotriate. In den zurückliegenden Jahren haben sich die Arbeiten zur Identifizierung von Wirkungsweise und aktiven Substanzen zunehmend auf Rezeptorbindungsstudien an GABAA-Rezeptoren und an A1-Adenosin-Rezeptoren konzentriert. Vom GABAA-Rezeptor-Chloridkanalproteinkomplex ist bekannt, dass er am Wirkungsmechanismus der sedierend wirkenden Barbiturate und Benzodiazepine beteiligt ist. Auch für Baldrian wird vermutet, dass die in der Droge enthaltenen Wirkstoffe die Ausschüttung von γ-Aminobuttersäure in den Synaptosomen anregen, gleichzeitig die Wiederaufnahme in die Vesikel hemmen und so zu einer starken Erhöhung der Konzentration von GABA im synaptischen Spalt führen. Dem A1-Adenosin-Rezeptor wird allgemein eine Beteiligung an der Induktion und Aufrechterhaltung des Schlafes zugeschrieben. So wirken Agonisten der zentralen A1 und A2A Adenosinrezeptoren sedierend, wogegen Antagonisten wie beispielsweise Coffein zentral stimulierende Eigenschaften aufweisen. Die aus Baldrianwurzel isolierten Lignane wurden in Radioligandenbindungsstudien auf potentielle Wirkung an verschiedenen Rezeptoren untersucht, unter diesen der Adenosin A1-Rezeptor. Dabei erwies sich das Olivil-Derivat 4'-O-ß-D-Glucosyl- 9-O- (6"-desoxysaccharosyl) -olivil als selektiver Agonist des Adenosin A1-Rezeptors. Aus diesem Befund wurde vielfach abgeleitet, dass es sich bei den Lignanen um die lange gesuchten aktiven Bestandteile der Droge handelt. Dem steht jedoch gegenüber, dass diese Substanzen nicht dazu in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Der Nachweis agonistischer Effekte am Adenosin A1-Rezeptor konnte auch für einen Spezialextrakte aus Baldrian und Hopfen erbracht werden. Die Einschränkung der Unsicherheit der Überwindung der Blut-Hirn-Schranke bleibt jedoch auch hier bestehen.

Anwendungsgebiete: Innerlich und äußerlich (als Bad) angewendet bei Unruhezuständen und nervös bedingten Einschlafstörungen.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Insbesondere bei Schlafstörungen. Ferner auch bei nervöser Erschöpfung, geistiger Überanstrengung, Konzentrationsschwäche, Stress und Reizbarkeit, Hysterie und weiteren nervlich bedingten Leiden verschiedener Organe und Körperteile. Die Wirksamkeit für die letztgenannten Anwendungsgebiete ist bislang nicht belegt, erscheint aber aufgrund der pharmakologischen Daten durchaus plausibel.

Gegenanzeigen: Nicht bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: Nicht bekannt.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Nicht bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Soweit nicht anders verordnet innerlich jeweils ein- bis mehrmals täglich als Infus in einer Dosierung von 2-3 g Droge pro Tasse, als Tinktur ½ -1 Teelöffel voll (1-3 ml) oder in Form von Extrakten entsprechend 2-3 g Droge. Zur Teebereitung wird ein Teelöffel voll Baldrianwurzel (3-5 g) mit etwa 150 ml heißem Wasser übergossen und nach 10 bis 15 min durch ein Teesieb gegeben. Von diesem Tee ist zwei- bis dreimal täglich und vor dem Schlafengehen eine Tasse zu trinken. Zur äußeren Anwendung 100 g Droge oder eine entsprechende Menge einer Zubereitung für ein Vollbad. Die Badetemperatur sollte 34-37 °C und die Dauer des Bades 10 bis 20 Minuten betragen.


Bilder:

Der Arzneibaldrian (rechte Abbildung) ist in Deutschland an unterschiedlichen Standorten anzutreffen, bevorzugt aber häufig feuchte und schattige Plätze (linke Abbildung). Sie besitzt kleine, hellviolette Blüten (Abbildung unten), die in Scheindolden angeordnet sind. Dadurch ist relativ eine Verwechslung mit Doldengewächsen möglich, was auch speziell bei der Prüfung der Droge zu beachten ist.


Literatur: Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, Grundwerk 2002 und 5. Ausgabe, Grundwerk 2005; Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis, Band 6, Drogen P-Z, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1994; Knopf D, Warum Baldrian beruhigt, Pharmazeutische Zeitung 149 (2004): 565; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 90 vom 15.05.1985, Monografie der Kommission B8, Balneologie, Bundes-Anzeiger Nr. 112 vom 10.11.1989; Neuer Wirkmechanismus von Baldrian, Schweizer Zeitschrift für Ganzheitsmedizin 16 (2004): 60; Schumacher B, Scholle S, Hölzl J, Khudeir N, Hess S, Müller CE, Lignans Isolated from Valerian: Identification and Characterization of a New Olivil Derivative with Partial Agonistic Activity at A1 Adenosine Receptors, J. Nat. Prod. 65 (2002): 1479-1485; Teuscher E, Biogene Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 1997; Wichtl M (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 1997; Wichtl M, Baldrian - Das meistgebrauchte pflanzliche Sedativum, Zeitschrift für Phytotherapie 24 (2003): 87-92.


© Thomas Schöpke